Fünf Anforderungen von Bertrand Meyer

Fünf Anforderungen von Bertrand Meyer

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Prof.Dr. Bertrand Meyer, ein renommierter Software-Ingenieur, formulierte fünf grundlegende Anforderungen, die Software erfüllen sollte, um von hoher Qualität zu sein. Diese Anforderungen beziehen sich auf die Prinzipien der objektorientierten Programmierung und sind nach wie vor ein wichtiges Fundament für Softwareentwicklung. In diesem Text werden diese fünf Anforderungen genauer betrachtet, und es wird erklärt, wie sie in C++ angewendet werden können.

1. Abstraktion

Abstraktion ist das Prinzip, komplexe Systeme auf einfachere Modelle zu reduzieren. Software sollte nur relevante Details anzeigen und unwichtige Informationen verbergen. In C++ geschieht dies häufig durch Klassen und Schnittstellen. Abstraktion ermöglicht es, dass Entwickler sich auf das Wesentliche konzentrieren.

Vorteil:
Durch Abstraktion wird der Code übersichtlicher und einfacher zu verstehen. Entwickler müssen sich nicht mit Details befassen, die für ihre Aufgabe irrelevant sind.

Nachteil:
Zu starke Abstraktion kann zu einem Verlust der Kontrolle und Übersichtlichkeit führen, insbesondere bei komplexen Systemen.

Beispiel in C++:

class Shape {
public:
    virtual double area() const = 0;  // Abstraktion der Fläche
};

class Circle : public Shape {
public:
    double area() const override {
        return 3.14 * radius * radius;
    }

private:
    double radius;
};

Hier abstrahiert die Klasse Shape die Methode area(), sodass der Benutzer sich nicht mit der genauen Berechnung der Fläche befassen muss.

2. Kapselung

Kapselung bedeutet, dass die Daten einer Klasse privat gehalten und nur über definierte Schnittstellen zugänglich gemacht werden. Dies schützt die Daten und verhindert, dass sie unbeabsichtigt verändert werden. In C++ wird Kapselung durch den Einsatz von privaten und öffentlichen Membern umgesetzt.

Vorteil:
Kapselung schützt die Integrität der Daten und verhindert, dass externe Teile des Systems diese direkt verändern. Dies führt zu sichererem Code.

Nachteil:
Kapselung kann den Zugriff auf Daten erschweren und zusätzliche Methoden erfordern, was den Code aufwendiger machen kann.

Beispiel in C++:

class Account {
private:
    double balance;  // private Variable

public:
    void deposit(double amount) {
        if (amount > 0) balance += amount;  // kontrollierter Zugriff
    }

    double getBalance() const {
        return balance;  // Datenzugriff über öffentliche Methode
    }
};

Die private balance-Variable ist geschützt, und der Zugriff erfolgt nur über die Methoden deposit() und getBalance().

3. Modularität

Modularität besagt, dass Software in unabhängige, wiederverwendbare Module unterteilt werden sollte. Jedes Modul hat eine klar definierte Aufgabe. In C++ erfolgt dies durch die Trennung von Klassen und Funktionen in unterschiedliche Dateien.

Vorteil:
Modularer Code ist leichter zu warten und zu erweitern. Fehler in einem Modul wirken sich nicht direkt auf andere aus.

Nachteil:
Ein zu stark modularisierter Code kann dazu führen, dass das System komplexer wird und die Integration der Module schwieriger wird.

Beispiel in C++:

// Datei: Account.h
class Account {
public:
    void deposit(double amount);
    double getBalance() const;
private:
    double balance;
};

// Datei: Account.cpp
#include "Account.h"

void Account::deposit(double amount) {
    if (amount > 0) balance += amount;
}

double Account::getBalance() const {
    return balance;
}

Der Code für die Account-Klasse wird in separate Header- und Implementierungsdateien aufgeteilt, was die Modularität erhöht.

4. Vererbung

Vererbung ermöglicht es, neue Klassen aus bestehenden Klassen abzuleiten. Die abgeleiteten Klassen erben die Eigenschaften und Methoden der Basisklasse. In C++ erfolgt dies durch das Schlüsselwort public, protected oder private, je nachdem, welche Zugriffsrechte für die geerbten Mitglieder bestehen.

Vorteil:
Vererbung fördert die Wiederverwendbarkeit von Code und erleichtert die Erweiterung von Programmen.

Nachteil:
Vererbung kann zu einer zu engen Kopplung zwischen Klassen führen. Wenn sich die Basisklasse ändert, müssen möglicherweise alle abgeleiteten Klassen angepasst werden.

Beispiel in C++:

class Animal {
public:
    virtual void speak() const = 0;
};

class Dog : public Animal {
public:
    void speak() const override {
        std::cout << "Woof!" << std::endl;
    }
};

In diesem Beispiel erbt die Dog-Klasse von Animal und implementiert die Methode speak().

5. Polymorphismus

Polymorphismus erlaubt es, dass verschiedene Objekte auf dieselbe Nachricht unterschiedlich reagieren. Dies wird in C++ durch virtuelle Funktionen und Überschreibung ermöglicht. Polymorphismus ermöglicht es, eine einheitliche Schnittstelle zu verwenden, während unterschiedliche Implementierungen zugrunde liegen.

Vorteil:
Polymorphismus führt zu flexiblerem Code, da dieselbe Schnittstelle für unterschiedliche Objekte genutzt werden kann.

Nachteil:
Die Implementierung von Polymorphismus kann die Performance beeinträchtigen, insbesondere wenn viele virtuelle Funktionen verwendet werden.

Beispiel in C++:

class Animal {
public:
    virtual void speak() const {
        std::cout << "Animal sound" << std::endl;
    }
};

class Dog : public Animal {
public:
    void speak() const override {
        std::cout << "Woof!" << std::endl;
    }
};

void makeSound(const Animal& animal) {
    animal.speak();  // Polymorphismus in Aktion
}

In diesem Beispiel wird die speak()-Methode auf unterschiedliche Weise implementiert, je nachdem, ob es sich um ein Dog– oder ein Animal-Objekt handelt.

Vorteile und Nachteile der fünf Anforderungen

Vorteile:

  • Erhöhte Wartbarkeit: Durch Modularität und Kapselung wird der Code leichter verständlich und wartbar.
  • Bessere Erweiterbarkeit: Abstraktion und Vererbung ermöglichen es, Code leicht zu erweitern, ohne bestehenden Code zu ändern.
  • Wiederverwendbarkeit: Polymorphismus und Vererbung fördern die Wiederverwendbarkeit von Code.

Nachteile:

  • Komplexität: Das Einhalten dieser Prinzipien kann zu einer höheren Komplexität führen, besonders bei großen Systemen.
  • Leistungseinbußen: Polymorphismus kann in einigen Fällen zu Performance-Problemen führen.
  • Übermäßige Abstraktion: Zu viel Abstraktion kann den Code unübersichtlich machen und das Verständnis erschweren.

Balance statt Perfektion

Die fünf Anforderungen von Bertrand Meyer – Korrektheit, Robustheit, Effizienz, Änderbarkeit und Wiederverwendbarkeit – stehen nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr beeinflussen sie sich gegenseitig, teils positiv, teils spannungsvoll. Eine der größten Herausforderungen in der Softwareentwicklung besteht darin, diese Anforderungen in einem ausgewogenen Verhältnis umzusetzen.

So kann etwa der Fokus auf maximale Effizienz die Änderbarkeit einer Software erschweren. Hochoptimierter Code ist häufig schwerer zu verstehen und weniger flexibel, wenn es darum geht, ihn an neue Anforderungen anzupassen. Ähnlich kann der Versuch, ein System möglichst robust zu gestalten – etwa durch umfassende Fehlerbehandlungen – dazu führen, dass die Korrektheit schwieriger nachzuweisen ist oder sich der Code aufbläht.

Es geht also nicht darum, jede Anforderung absolut zu erfüllen, sondern eine sinnvolle Priorisierung vorzunehmen – abhängig vom Projekt, den Nutzer und dem konkreten Anwendungskontext. In sicherheitskritischen Systemen steht beispielsweise die Korrektheit über allem, während in prototypischen Anwendungen vielleicht die Änderbarkeit an erster Stelle steht. Gute Softwarearchitektur bedeutet in diesem Sinne nicht, überall perfekt zu sein, sondern intelligent zu balancieren.

Wie aktuell sind Meyers Anforderungen heute?

Obwohl Bertrand Meyer seine fünf Anforderungen bereits in den 1980er-Jahren formuliert hat, sind sie bis heute ein zentraler Bestandteil vieler Lehrpläne und Qualitätsdiskussionen in der Softwareentwicklung. Doch wie gut passen sie noch in eine Welt voller agiler Prozesse, Cloud-Architekturen, Microservices und DevOps-Kultur?

Die Antwort lautet: erstaunlich gut – wenn auch mit gewissen Ergänzungen. Moderne Entwicklungspraktiken haben neue Anforderungen hervorgebracht, die Meyers Liste sinnvoll erweitern. Dazu zählen beispielsweise:

  • Skalierbarkeit: In verteilten Systemen und bei Cloud-Anwendungen ist es zentral, dass Software auch unter hoher Last stabil und performant bleibt.
  • Sicherheit: Mit zunehmender Vernetzung und wachsender Datenverarbeitung wird Security zu einem eigenen, unverzichtbaren Qualitätsmerkmal.
  • Benutzbarkeit (Usability): Gerade im Bereich der Endanwender-Software spielt die Nutzererfahrung eine immer größere Rolle.

Diese Anforderungen stehen nicht im Widerspruch zu Meyers Prinzipien – im Gegenteil: Sie ergänzen sie. Die Korrektheit lässt sich etwa als Grundlage für Sicherheit verstehen, während Wiederverwendbarkeit und Änderbarkeit zentrale Voraussetzungen für skalierbare und anpassbare Systeme sind.

Insgesamt zeigt sich: Meyers Anforderungen sind auch nach Jahrzehnten noch hochrelevant – sie bilden das Fundament, auf dem moderne Qualitätsanforderungen aufbauen können. Wer sie versteht, hat einen klaren Kompass für nachhaltige, hochwertige Softwareentwicklung.

Fazit

Die fünf Anforderungen von Bertrand Meyer bieten wertvolle Leitlinien für das Design von Software. Die Prinzipien fördern einen strukturierten und wartbaren Code, der flexibel und erweiterbar bleibt. Trotz der Vorteile können sie in komplexen Systemen zusätzliche Herausforderungen mit sich bringen, die sorgfältig abgewogen werden müssen. C++ bietet vielfältige Werkzeuge, um diese Anforderungen effektiv umzusetzen und dabei eine gute Balance zwischen Flexibilität und Performance zu erreichen.

Weiterführende Themen: SOLID Design Prinzipien​, Gesetz von Demeter

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